Wildblumeninsel
Und alle laufen in den Wind. Der saust durch die Blusen und die flattrigen Hosen, da fliegen die Leute durch die Luft in ihren Frühlingsgarderoben nach den Mantelmonaten mit dem schweren Schuhwerk.
Andere sitzen im Straßencafé über ihrem Frühlingsschnitzel.
Im Kreisverkehr fahren Autos im Kreis, träumende Autos fahren da im Kreis, die geben Frühlingsgas, zart schnurren die Motoren um die Blumeninsel.
Und da schau her: Da kommt ein Auto von rechts, aus der Seitenstraße träumt es in den Kreisverkehr. Und horch: ein Frühlingshupen! Da schauen die Menschenaugen von den Schnitzeln auf, da tut sich was im Kreisverkehr, ja und wirklich, gleich wird was passieren, das liegt in der Luft, in der Frühlingsluft rund um die Wildblumeninsel.
Die schaut jetzt noch garstig aus, weil Wildblumen keine Befehlsblumen sind, wie kniehohes Unkraut stehen sie da, aber in der Wildblumeninsel liegt die Wildblumenweisheit, das ganze kniehohe Geheimnis der Natur: Was da für Insekten leben, Kerbtiere, Spinnen, Asseln und Engerlinge unten im Boden in der Betonschale mitten im Kreisverkehr, da geht’s nicht um schnellen Frühlingseffekt, politische Blumen sind das, Nachbarschaftsblumen!
Ganz mild geben die Autos Gas und brummen drumherum.
Blaue Schilder mit weißen Pfeilen zeigen den fahrenden Menschen friedlich den Weg um die Insel, und als wenn es das Hupen nicht gegeben hätte, fährt das Auto aus der Seitenstraße weiter, und schau, der zweite Frühlingsgruß, das Friedenshorn, das liebgemeinte Hupsignal ist da zu spät gekommen, ja der Frühling ist schon ein verrücktes System!
Die einen holen sich eine Verkühlung in der Luft, die anderen sitzen schnitzelschwer vor dem Café und wieder andere: fahren in fremde Karosserien hinein und verlieren ihre Autoteile auf den Straßen, weil sich ihre Wagen so wild verschaut haben ineinander.
Da liegt dann ein Stück Stoßstange und daneben das zersplitterte Scheinwerferauge, verrückt, wie die Autos so außer Rand und Band sind im Frühling! Und die beiden Autofahrer stehen jetzt neben ihren Autoschnauzen über ihren warmen Motorhauben, ein pelziger Duft steigt in die Luft, vielleicht vom heißen Öl, das austritt, und sie sagen sich Frühlingsworte, die Lenkerin dem Lenker und der Lenker der Lenkerin.
Bücken sich und klauben ihre Bruchstücke auf, ach, nur Sachschäden, nur Blechschäden, nicht der Rede wert, sagen sie zart und fahren mit den Fingerkuppen die Schrammen entlang und die spitzen Bruchstellen der Plastikkomponenten. Was so eine Karambolage alles hervorbringt, da knien sie nieder und spielen mit der ungewöhnlichen Schönheit der Karosserieteile, lächelnd, denn es ist Frühling und die Menschen haben den Osterhauch in den Seelen und legen Muster aus Sicherheitsglas und kleinen Glühbirnchenköpfen, achtsam, so achtsam, denn es ist Frieden auf Erden in allen, die sich gerade verlieben in die Konfliktpartei, in die Verfahrensgegnerin.
Kein Wunder, dass ihr da ein wenig schwindlig wird von so viel Innigkeit und sie fragt:
Ob bei ihm alles in Ordnung ist?
Da berührt ihre Hand den Ärmel der Wildlederjacke, da wandert ihr Herz hinein für einen Augenblick in dieses Wildlederleben, dieses Sorglosleben, aber da sagt er auch schon Absolut, mit einem Lächeln wie aus Seidenpapier und einem rehbraunen Blick, da schwärmen die Botenstoffe aus, die bringen das Hüpfen in die Brust und die kleinen Sternengewitter, und ritterlich macht er sich kleiner, damit er ihr in die Augen sehen kann, jetzt beugt er sich vor und schaut ihr von der Seite ins Ohr, so ritterlich schaut er ihr ins Ohr und sie streicht die hellbraune Strähne nach hinten, was schaut da heraus, so rot, wenn das kein Zeichen von Liebe ist, und schon nimmt er sein Mobilfunkgerät heraus und sagt seine Termine ab für den Rest des Tages vielleicht, reicht ihr den angewinkelten Arm, da lehnt sie sich an, taumelnd setzt sie den ersten Schritt und der Boden ist wie Moos, im Kreisverkehr bleiben die Autos stehen vor Entzücken, wie schwebt sie da an seinem Arm über die Fahrbahn hinüber zur Wildblumeninsel.
Und die jungen Erwachsenen im Straßencafé posten die Liebeskarambolage gleich in ihren Freundeskreisen, alle wissen sie schon wie es weitergehen wird, bald ziehen sie zusammen und werden kleine Karmabolagenkinder zeugen, die fahren sie dann im Kreisverkehr spazieren, bis sie schwindelfrei sind und das ganze Leben wird eine Spritztour sein für sie, weil sie den Frühling im Erbgut haben und ihr Vater ist der Kreisverkehr.
Und kaum sind sie drin in der Wildblumenwiese, sie und der Arzt im Dienst, so steht es auf seinem Armaturenbrett, breitet er seine Wildlederjacke aus und über ihnen flattern die grüngefiederten Äste der alten Platane, da legt sie sich drunter in das Schattenmuster und er kniet neben ihr, legt ihr die Jacke unter den Kopf, nein, da ist man sich einig bei den Menschen im Café, da sind keine geschlechtlichen Kurzgeschichten am Werk! Er beugt sich hinunter zu ihr und nimmt ihre Hand, da dreht sie sich zu ihm, traumverloren liegt sie da und schlägt die Augen nieder, ihr Handgelenk hält er jetzt, dort, wo ihr Herz klopft, und die Menschen summen sich ihre Schlussmusik dazu, ein hellgrünes Geigenfinale, da schlägt sie die Augen auf und lächelt und beide schauen sie in den Himmel, selig, wo der Schall schon von Haus zu Haus schlägt im Kreis, immer lauter, jetzt sehen sie den großen bauchigen Liebesvogel, gelb und rund kommt er herunter und landet im Kreisverkehr, da werden ihr die Augen schwer und jetzt wird sie auch schon emporgehoben, ganz sanft auf eine Liege, und er geht mit, natürlich geht er mit, und am Boden bleibt nur die Wildlederjacke zurück mit der Mulde, wo ihr Kopf gelegen ist, mit dem friedlichen See Frühlingsblut.