Das Steinkind
Eines Tages, da konnte das Liebkind nicht mehr. So viel lag ihm im Magen. Und so schloss es sich ein.
Es ist kalt im Haus. Das liegt am Winter vor der Tür und den schwarzen Steinen am Boden. Draußen pfeift ein eisiger Wind.
Drinnen sitzt das Kind.
Eine Stechform aus Blau. Durchs Klofenster schaut das Kind in den Himmel. Es ist Sommer, draußen pfeifen Schwalben vorbei.
Drinnen pfeift das Kind. Denn es muss nicht.
Es zupft an der Rolle im Plastikgehäuse. Klopapierkugeln fallen ins Wasser unter ihm. „So sei doch vernünftig“, ruft die Mutter vom Feld her.
Ich kann. Ich muss aber nicht.
Das Kind zieht den Spülhebel nach unten, bis der Sturzbach glaubt, er darf schon. Dann hebt es den Zeigefinger und das Wasser muss wieder brav sein. Ein Winselstrahl rinnt in die Muschel. So sind die Tage vergangen.
Draußen wuchsen die Sorgen. Draußen brüllte ein Kopf. Draußen riss der Vater an der Tür. „Du musst überhauptnicht“, hat er geschrien mit Adern wie Regenwürmern am Hals.
Ich muss nicht, aber ich kann!
Und dann sind die Fäuste ans Holz geflogen, dass die Tür gezittert hat. Aber die starken Angeln haben gehalten. Einschlagen kann er sie nicht, die Tür.
Einschlagen kann er es nicht.
Dann durfte das Wasser endlich herunterstürzen. Es zog den Hebel so lange bis der Vater weg war. So schön war das Rauschen.
„Sei doch vernünftig“, sagte die Mutter.
Und schob ihm winziges Essen durch den Spalt. Und einen Strohhalm dazu. „So sei doch vernünftig!“ hat sie durchgeflüstert.
Aber das Kind ist geblieben.
„Ich hab einen monströsen Stuhl im Bauch!“ hat die Tante gejammert. „Ich mach so schnell, das merkst du gar nicht. So lass mich rein, ich platze gleich!“
Das war die Schmeicheltante.
„Tante, lass deinen Stuhl woanders“, hat es gesagt. Draußen ist dann wer umgefallen und es hat ein Pressen gegeben und ein Stöhnen. Durch den Türspalt hat es das gesehen: Da ist die Tante auf den Fliesen gelegen und hat einen Stuhl auf den Boden gemacht. Wie ein Osterstriezel ist es aus ihr herausgekommen.
„Die Tante ist ein Schwein“, hat das Kind gelacht.
Aber schon ist die Mutter gekommen, hat „Gott!“ gerufen, der Tante den Rest vom Striezel aus dem Popo gezogen und ihr aufgeholfen. Den Stuhl haben sie eingewickelt in einen warmen Fetzen und rausgetragen für die Rosen.
„Das muss doch nicht sein“, murmelte es da im Kind.
Und dann hat es wieder die Spülung gedrückt. Wegen der Abwechslung und weil es gerade Lust auf eine Erfrischung am Popo hatte, denn es war Mai.
„Wann kommst du heraus?“ fragte die Mutter.
„Hört auf, hereinzuwollen. Dann fang ich an, herauszukommen“, hat das Kind gesagt. Und dann ist die Zeit vergangen.
Wie die Zeit vergeht, hat das Kind gedacht.
Der Vater hat sich draußen am Feld entleert, im eisigen Wind und wenn die Sonne gestochen hat. Die Mutter hat in den Kübel gemacht, den hat sie dann heimlich im Garten ausgeschüttet unter die Schwertlilien. Und immer wieder ist die Tante gekommen.
„Ich hab so eine zarte Haut am Popo“, hat sie gesagt. „Wo soll ich nur hin?“
„Hör auf zu schluchzen, Tante, ich hab auch keinen Rat. Nur lass deinen Stuhl bitte nicht in den Brunnen fallen, sonst sterben die Zwerge.“
Langsam wurde es dunkel.
Draußen fuhr der Vater auf dem Traktor vorbei. Durch das Klofenster sah es seinen weißen Unterarm vor den Gewitterwolken und die geballte Faust. „Wir kriegen dich noch, Freundchen!“ donnerte es herüber.
Aber das Kind saß weiter.
Eines Tages, und dazwischen lag eine Zeit, die war gespannt wie ein Himmelszelt im Oktober, hat das Kind ein Drücken gespürt, so stark, dass es an den Wolf denken musste mit den Wackersteinen im Bauch. Und immer kleiner ist es geworden gegen das Drücken im Bauch. In der Nacht hat es dann gekracht, dass das Kind die Besinnung verloren hat. Und wie es in der Früh unter sich schaut, liegt da ein Stein in der Muschel, weiß und glatt und groß wie ein Straußenei.
Da ist das Kind mit einem Mal aufgestanden.
Und es hat gestrahlt. Wie es herausgekommen ist, war etwas um es herum, da hat keiner mehr hineingegriffen, nicht mit der Hand und nicht mit dem Mund. „Wie groß du geworden bist“, hat die Mutter gestaunt. Und dem Vater ist Acker aus den Furchen auf der Stirn gefallen und die Mundwinkel haben sich langsam, ganz langsam auf den Weg gemacht in Richtung Lächeln. Da hat auch die Tante nichts mehr sagen können.
Das Kind hat den Stein genommen, ist hinausgegangen und hat ihn zu den Rosen gelegt.
Und wer sein Ohr zum nassen Gras vor dem Fenster gebeugt hat, denn es war Herbst und die Blätter der Birken sind wie bunte Boote im Garten gelegen, hat es hören können: wie die Senkgrube tief unten in der Erde geschnauft hat – langsam und ruhig und zufrieden, wie ein großes Tier, bis tief in die Nacht.